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Das Ende einer langen Freundschaft mit Russland – musste das so sein?

Russian President Vladimir Putin, right, and IIHF President Rene Fasel attend a gala match with the participation of Russian hockey legends as part of the final stage of the X All-Russian Night Hockey ...
SIHF Präsident René Fasel mit dem russischen Präsident Wladimir Putin an einem Gala-Match im Mai 2021.Bild: keystone
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Das Ende einer langen Freundschaft mit Russland – musste das so sein?

Der Eishockey-Verband (SIHF) ist mit der Forderung nach radikalen Sanktionen gegen Russland vorangegangen. Eine lange Freundschaft mit dem russischen Eishockey ist damit beendet worden. Kritiker fragen: Ist das klug? Wäre mit einem etwas diplomatischeren Vorgehen nicht auch gleich viel erreicht worden?
01.03.2022, 12:3701.03.2022, 13:40
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In seinen Statuten hat sich unser Eishockeyverband politische und konfessionelle Neutralität und Unabhängigkeit verschrieben. Nun sind diese Neutralität und Unabhängigkeit zum ersten Mal in der Geschichte (seit 1908) aufgegeben worden. Das ist auch mit einem Blick zurück bemerkenswert.

Zuerst ist Zug aufgefordert worden, nicht mehr mit dem Logo des russischen Sponsors «Nord Stream» auf dem Jersey aufzutreten. In einem nächsten Schritt hat unser Verband noch vor Finnland, Schweden, Tschechien, den USA und Kanada schriftlich beim Internationalen Verband (IIHF) schärfste, ja radikale und teilweise unrealistische Sanktionen gegen Russland und Weissrussland gefordert: neben der Verbannung der beiden Länder von der WM sogar der Ausschluss aus dem internationalen Verband.

Darüber hinaus auch noch die Suspendierung aller demokratisch gewählten IIHF-Funktionäre mit russischer und belarussischer Staatsbürgerschaft und das Ende der Zusammenarbeit mit der KHL, der zweitwichtigsten Liga der Welt. Die Forderungen sind im Detail auf der SIHF-Webseite nachzulesen.

Das Council hat an seiner Krisensitzung nicht alle Forderungen erfüllt und beschränkt sich vorerst auf Sanktionen für das Jahr 2022: Russland und Belarus sind von allen WM-Turnieren – auch bei den Juniorinnen und Junioren – ausgeschlossen worden.

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Russische Fahnen werden an den kommenden Weltmeisterschaften wohl keine geschwenkt werden.Bild: keystone

Die Radikalität der Sanktionsforderungen unseres Eishockey-Verbandes überrascht im Wissen um unsere Hockey-Historie. In der Vergangenheit ist – mit Ausnahme der Absenz Deutschlands in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg vom internationalen Sport – noch nie eine Hockeynation aus politischen Gründen aus der WM ausgeschlossen worden. Auch nicht nach der Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn (1956) und des Prager Frühlings (1968) durch sowjetische Panzer.

Sowohl die damalige Tschechoslowakei als auch Ungarn waren formell unabhängige Staaten wie heute die Ukraine. 1957 boykottierten wegen des Einmarsches in Ungarn westliche Länder (unter anderem Kanada und die USA) die WM in Moskau, die ersten Titelkämpfe auf russischem Boden. 1962 verweigerten die US-Behörden (also nicht sportliche Autoritäten) den Spielern der DDR die Einreise für die WM in Colorado Springs und Denver. Aus Solidarität mit ihrem sozialistischen Bruderland verzichteten die Sowjets und die Tschechoslowaken auf diese WM.

Und nun sind mit dem WM-Ausschluss von Russland und Weissrussland die härtesten Sanktionen der Geschichte (seit 1908) beschlossen worden. Mit der Schweiz als eine der treibenden Kräfte. Eine 68-jährige Freundschaft ist damit zerbrochen.

Die Schweiz hatte mit dem russischen Hockey eine besondere Freundschaft gepflegt. 1954 ist die Schweiz noch vor der ersten WM-Teilnahme der Sowjetunion als erste wichtige westlichen Hockey-Nation zu Länderspielen nach Moskau eingeladen worden. Am 16. Februar 1954 verlieren die Schweizer im Dynamo-Fussballstadion vor über 30'000 Zuschauerinnen und Zuschauern bei minus 26 Grad 1:13. Bis heute die grösste Länderspielkulisse bei einem Spiel der Schweiz.

Zwei Tage später ist es noch kälter. Die Spielzeit wird deshalb pro Drittel auf 15 Minuten verkürzt. Nur noch etwas mehr als 10'000 Fans kommen und die Schweizer verlieren nur noch 1:3. Damals gehört die Schweiz – 1950 noch Europameister – zu den grossen Hockeynationen. Die Sowjets holen nur wenig später bei ihrer ersten WM-Teilnahme in Stockholm (26. Februar bis 7. März 1954) gleich ihren ersten WM-Titel.

Gerade die Neutralität der Schweiz ermöglichte dauerhaft gute Beziehungen zum sowjetischen Eishockey bis in die Neuzeit. So ist es auch kein Zufall, dass zwei der besten Spieler der sowjetischen Hockeygeschichte noch vor der Auflösung der Sowjetunion die Bewilligung für einen Transfer in den Westen bekamen: Slawa Bykow und Andrej Chomutow haben mit Fribourg-Gottéron ein Hockeymärchen geschrieben. Beide besitzen inzwischen auch die Schweizerische Staatsbürgerschaft. Und schliesslich haben die Russen die Wahl von René Fasel zum IIHF-Vorsitzenden 1994 mit grösstem Wohlwollen begleitet. Die Ära des Freiburgers (1994 bis 2021) gilt als die erfolgreichste in der IIHF-Geschichte.

Rene Fasel (48) of Switzerland poses in front of the new flag of the International Ice Hockey Federation (IIHF) during the opening day of the IIHF congress on May 31, 1998, in Lausanne. On Monday, Jun ...
René Fasel bei einem SIHF Kongress am 31. Mai 1998.Bild: KEYSTONE

Das forsche Vorgehen unseres eigentlich durch die eigenen Statuten zur Neutralität verpflichteten Verbandes hat die 68-jährige Freundschaft mit dem russischen Hockey beendet. Kritiker monieren: Hätte man mit etwas klügerem, diplomatischerem Vorgehen nicht ebenso viel erreichen können, ohne gleich die langjährigen Beziehungen zum russischen Hockey abzubrechen? Haben die Schweizer Hockey-Funktionäre eine schreckliche Tragödie zur persönlichen Profilierung ausgenützt? Diese Fragen dürfen Kritiker stellen.

Fasel kritisiert den Entscheid
Der ehemalige IIHF-Präsident René Fasel steht dem Entscheid, Russland und Belarus von den kommenden IIHF-Events auszuschliessen, kritisch gegenüber. Er sagt: «Es ist ein trauriger Moment in der IIHF-Geschichte. Selbst während des Kalten Kriegs hat die Sowjetunion gegen die USA und Kanada gespielt. Sport soll einen und den Frieden fördern.» Kritik an Putins Invasion in der Ukraine gibt es von Fasels Seite nicht. (abu)

Der Sport kann die Völker miteinander verbinden. Das war die Idee von Baron Pierre de Coubertin. Der Gründer der modernen Olympischen Spiele war ein Romantiker. Heute ist der Sport wegen seiner globalen Vernetzung und seiner Bedeutung als globales Milliardengeschäft zu einem Instrument der Politik geworden.

Zu einer Wegnahme der WM 2023 in St.Petersburg hat sich der Internationale Verband noch nicht durchringen können. Weil dieser Schritt seinen Preis hat: Die Vermarktungsagentur Infront überweist für die TV- und Werberechte an den WM-Turnieren dem Internationalen Verband gut und gerne 20 Millionen pro Jahr. Diese Summe wird mit dem Verkauf von Werbe- und TV-Rechten refinanziert.

Der grösste Kunde von Infront bei den Werberechten ist heute der russische Energiekonzern Gazprom. Infront ist in chinesischem Besitz. Ohne grünes Licht von Infront wird den Russen die WM 2023 nicht entzogen. Mit Bertolt Brecht können wir sagen: Die Werbeeinahmen kommen vor der Moral.

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45 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SBP
01.03.2022 05:41registriert Mai 2018
Die Schweiz kann Russland nach dieser Tragödie als erstes Land wieder die Hand reichen und so seine Neutralität unter Beweis stellen. So lange aber dieser Wahnsinnige an der Macht ist, kann man sich nur dezidiert zu einer Seite bekennen, Neutralität hin oder her. Alles richtig gemacht, unabhängig davon, welche Motive dazu geführt haben.
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Rön73
01.03.2022 06:15registriert April 2019
Ja, das musste sein!
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Töfflifahrer
01.03.2022 05:59registriert August 2015
Zum letzten Abschnitt, was geschieht, wenn sich 2023 alle Nationen weigern überhaupt anzutreten?
Ich denke dass es da einige Verbände gibt, die lieber aus dem IIHF austreten, als nach Russland zu gehen. Danach wären wir dann bei der Gründung eines neuen Dachverbandes.
Ist dieses Szenario so unwahrscheinlich?
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